Prälat Max Müller zum 90. Geburtstag - page 42

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bringen und in ihr Gedächtnis, ihren Erfahrungsschatz zu inte-
grieren und ihre Kompetenzen damit zu erweitern. Der alt-
hochdeutsche Begriff für „erziehen“ ist
uzteuhan,
also
heraus-
ziehen.
Das kann wieder auf den Erzieher hindeuten, der ein
Kind „aus der Unmündigkeit, aus Unselbständigkeit und Vor-
mundschaft“ (M
ÜLLER
1989, S. 39) „herauszieht“. Wenn wir
das Wort reflexiv gebrauchen und so als Ausdruck der Aktivi-
tät des Kindes betrachten, entsteht das Bild des
sich selbst
herausziehenden
Kindes, wie ein Kletterer sich an den Klet-
termalen oder an den Wänden einer Schlucht hochzieht. Maria
M
ONTESSORI
(1976) hat den Begriff der Selbsterziehung
(auto-
educazione)
geprägt: Sie verwendet nirgends das Wort „Frei-
arbeit“, aber mit „Selbsterziehung“ bezeichnet sie genau diese
bildende und lernende Aktivität des Kindes.
Wenn wir bei diesem Bild die Rolle des Lehrers und – im klas-
sischen Sinne – Erziehers definieren wollen, stellen wir uns die
Frage: Woran können sich Kinder und Jugendliche denn her-
ausziehen? Bezogen auf die Klettermale der Kletterwand
heißt diese Frage: Wer gibt ihnen Halt? Wer setzt Widerstand
entgegen? Wer bietet Reibungsflächen? Kinder und Jugendli-
che brauchen deshalb Lehrer und Erzieher und Eltern, die
ihnen etwas entgegenstellen, an denen sie sich reiben dürfen
und die nicht „aalglatt“ und unan„tast“bar und unan„greif“bar
sind. Pater Karg, Schulleiter einer großen Internatsschule in
Donauwörth, sagte 1998 bei seiner Verabschiedung, es kom-
me darauf an, „ob ich eine Lehrkraft oder Lehrschwäche, eine
pädagogische Zitterpappel oder Eiche bin“. Wie viele (Haupt-
schul-)Lehrer konnte ich die beglückende Erfahrung machen,
dass gerade die Schüler/-innen, mit denen man sich am meis-
ten „herumschlagen“ musste, zurückkommen an ihre Schule
und Kontakt halten, manchmal über Jahre hinweg: Ob sie in
ihrer weiteren schulischen und beruflichen Laufbahn auch
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