Vielfalts-Expert*innen sind schon da. Expertise sichtbar machen, Erfahrungen nutzen.

Angestoßen durch die Initiative #OutInChurch und den Film „Wie Gott uns schuf“ hatte die Stiftung Katholische Freie Schule zu einem offenen Austausch zum Thema „Orte der Vielfalt werden?!“ eingeladen. Vielfalt ist der Stiftung Katholische Freie Schule ein großes Anliegen und in den Schulen schon längst Realität: Menschen aus verschiedenen Kulturen, in verschiedenem Alter, mit verschiedenen Ansichten und Lebensentwürfen, aus verschiedenen Geburtsländern arbeiten und lernen gemeinsam. Gleichzeitig erlebt die Stiftung als kirchliche Institution die Grenzen der Vielfalt z.B. bei der Einstellung von muslimischen Kolleg*innen, von aus der Kirche ausgetretenen Menschen, von Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder Ehe leben oder wiederverheirateten Geschiedenen.

Im Gespräch mit Bettina Kaul und Joachim Schmidt berichteten vier Gäste über von Erfahrungen in katholischen Einrichtungen und Schulen:

Andreas Kratel, einer der Protagonisten des Films „Wie Gott uns schuf“, war von Anfang an in der Initiative #OutInChurch beteiligt. Er berichtete, dass während der ersten Treffen der Initiatoren keinesfalls klar war, dass ein Film entstehen würde, der zur Primetime in der ARD zu sehen ist. Der Kontakt zu Regisseur Hajo Seppelt entstand erst später über persönliche Kontakte. Der Film wurde aufgrund der Berichterstattung zu #OutInChurch am Tag der Ausstrahlung kurzfristig von 23 Uhr ins Hauptprogramm verlegt. Die Dokumentation, die über die Erfahrungen von LGBTIQ+ Personen im kirchlichen Arbeitsumfeld berichtet, ist nur ein Baustein der Kampagne. U.a. wurde in diesen Tagen eine Petition an die Bischofskonferenz überreicht.

Neben arbeitsrechtlichen Aspekten ist für Andreas Kratel die theologische Frage weitaus bedeutender, denn sie berührt die Identität der Menschen: Wird jeder Mensch mit seinem oder ihrem So-Sein in der Kirche als gottebenbildlich angesehen und akzeptiert? Natürlich ist es #OutInChurch wichtig, dass Menschen aus der arbeitsrechtlichen Grauzone der Duldungen und Einzelfallentscheidungen in eine Sicherheit kommen und angstfrei in ihrer Kirche leben und arbeiten können. Die Frage der Akzeptanz der unterschiedlichen Identitäten ist jedoch das zentrale Anliegen der Initiative. Mit Blick auf die Schulen gibt er zu bedenken, dass Lehrkräfte nur wenn sie sich selbst am Arbeitsplatz angstfrei und mit ihrer ganzen Identität einbringen können, offen und authentisch mit Schüler*innen zu Themen wie „Identität“ und „Vielfalt“ arbeiten können.

Katja Sichau vom Bildungszentrum St. Kilian in Heilbronn macht mit der Friedensstifter-Initiative an ihrer Schule genau diese Erfahrung. Im Rahmen der Initiative haben die Kolleg*innen „Unfriedensbereiche“ identifiziert und arbeiten mit Schüler*innen u.a. in Projekten zu Mobbing, Rassismus oder Queer-Phobie. Die Projekte begannen während des Lockdowns als Videokonferenzen und die Schüler*innen berichten, dass sie in dieser Zeit durch die gemeinsame Arbeit das Gefühl bekamen, dass sie etwas tun und etwas bewegen können, z.B. indem sie eigene Erfahrungen mit jüngeren Schüler*innen teilen. Am Wichtigsten war, dass die Themen der Schüler*innen Platz hatten, dass sie mitbestimmen und mitgestalten durften. Am Bildungszentrum hat sich so eine sensiblere Kommunikation etabliert, es gibt einen Austausch über unklare Begriffe und Positionen, Missverständnisse werden sichtbar und benannt: Es wird klar, wie sehr der Ton und das gegenseitige Vertrauen zu einer gelingenden Kommunikation beitragen. Gemeinsam richtet die Schule in jedem Schuljahr Aktionswochen zu den „Unfriedensbereichen“ aus. Einzelne Klassen entscheiden sich z.B., einen Gottesdienst für ihre Stufe dem Thema „Homophobie“ zu widmen. Die Schüler*innen sehen ihre Themen und Anliegen in der Schule behandelt und berichten, , dass die Schulgemeinschaft durch das Projekt näher zusammen gefunden hat: „Eigentlich ist Schule schon sehr theoretisch. Und jetzt sind das Themen, die etwas mit unserem Alltag zu tun gaben, wo wir wirklich Lösungen erarbeiten und nicht nur darüber reden.“

Für Klaus Amann, Schulleiter des Salvatorkollegs in Bad Wurzach, ist Vielfalt immer da: in der Schüler*innenschaft, im Kollegium, in pädagogischen Konzepten als „Heterogenität“ beschrieben. Er findet, dass der Begriff „Vielfalt“ und seine Ausdifferenzierung in unterschiedliche Bereiche wie z.B. „sexuelle Vielfalt“ nicht unbedingt weiter helfen. Denn letztlich gehe es darum, anzuerkennen, dass jede*r individuell und anders ist. Vielfalt ist immer gegeben, sie ist selbstverständlich: „Braucht es dafür einen besonderen Begriff?“. Die Verschiedenheit zu akzeptieren und zu integrieren, fällt uns aufgrund der Erfahrungen und Bilder, die wir durch unsere Erziehung und Prägung mit uns herum tragen, oftmals schwer. Deshalb fragt Amann kritisch: „Sind wir wirklich so offen?“. Am Salvatorkolleg versucht er, der Verschiedenheit Raum zu geben. Da für die muslimischen Schüler*innen kein eigener Religionsunterricht angeboten werden kann, wurde das Fach „Lebensfragen“ entwickelt, das von den Schüler*innen sehr dankbar angenommen wird. Im Gebetbuch der Schule finden sich auch Gebete aus dem Islam.

Wie muslimische Schüler*innen eine katholische Schule erleben, beschrieb Sevda Dogan, die an den Fachschulen St. Martin in Neckarsulm zur Erzieherin ausgebildet wird. Die junge Frau muslimischen Glaubens hatte sich zunächst nichts gedacht, als sie sich an einer katholischen Schule bewarb, zweifelte dann aber, ob sie wohl aufgenommen würde. Bereits im Vorstellungsgespräch bei ihrem Schulleiter gewann sie den Eindruck, dass ihre Religion kein „Problem“ darstellt. In ihrer Klasse versammeln sich Schüler*innen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Weltanschauungen und es herrscht ein Klima von Offenheit und Respekt. Genau das ist auch der Schule wichtig, die Sevda Dogan u.a. die Kapelle zum Beten zur Verfügung stellt. Die Schüler*innen sollen keinen „Tunnelblick“ bekommen, sondern sensibel sein für religiöse Verschiedenheit. Das ist auch für ihre spätere Arbeit als Erzieher*innen wichtig.

Im Austausch mit den Gästen konnten die Teilnehmer*innen Praxiseinblicke bekommen und eigene Fragen und Erfahrungen teilen. An die Stiftung Katholische Freie Schule gerichtet wurde klar, dass es den Kolleg*innen wichtig ist zu wissen, worauf sie sich bei ihrem Arbeitgeber verlassen können. Sie möchten erkennen können, dass sie tatsächlich so, wie sie sind, willkommen sind. Regelungen im kirchlichen Arbeitsrecht und zur Missio canonica müssen dazu weiter in den Blick genommen und angepasst werden.

An den Schulen vor Ort gilt es, die Expertise und die Erfahrungen, die die Kolleg*innen und Schüler*innen durch ihre Herkunft, ihre Religion, ihren Lebensentwurf und ihren Lebensweg mitbringen, sichtbar zu machen und sich gemeinsam auf die Suche zu machen, wie es konkret gelingen kann, dass sich jede*r sicher fühlt und mit seiner Identität und Individualität akzeptiert wird.

 

Weitere Informationen zur Initiative #OutInChurch
 

Suche