Warum machen wir noch „katholische“ Schule?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern und Großeltern,

 

im Nachgang zum diesjährigen Pfingstfest - das ja von manchen als „Geburtsstunde der Kirche“ bezeichnet wird - möchte ich Ihnen gern einige Zeilen schreiben, die sich mit den zahlreichen Fragen und Sorgen über das Bild auseinandersetzen, das die katholische Kirche - nicht erst, aber ganz besonders - in diesen vergangenen Monaten abgibt.

Warum, so fragen sich manche von Ihnen als Mitarbeiter*innen, arbeite ich in einer Institution, die Frauen (immerhin sind ja die meisten unserer pädagogischen Mitarbeiter*innen Frauen) trotz größten Engagements und bester theologischer Ausbildung - den Zutritt zu zentralen Ämtern verweigert? Einer Institution, die die gleiche Würde aller Menschen propagiert und dennoch gleichgeschlechtlichen Paaren den kirchlichen Segen verweigert?

Warum, so fragen sich manche von Ihnen als Eltern, schicke ich mein Kind in eine katholische Schule und gebe sie damit in die Hände einer Institution, der es nicht einmal unter größtem öffentlichen Druck gelingt, in allen Diözesen Missbrauchsvorwürfe gegenüber Kindern und Jugendlichen zu untersuchen und aufzuklären (unsere Diözese bildet hier dankenswerterweise eine seltene Ausnahme)?

Warum, so fragen sich manche von Ihnen als Schülerinnen und Schüler, soll man sich in der Schule mit kirchlichen Positionen und Lehrmeinungen auseinandersetzen, wenn die Institution, die sie vertritt, an so vielen Stellen mehr auf Machterhalt und Verteidigung von Privilegien aus zu sein scheint als auf kommunikative und partizipative Strukturen?

Viele dieser Fragen und Vorwürfe beschäftigen auch mich und uns in der Stiftung. Vieles, was wir miterleben, hören und lesen, lässt auch uns ratlos zurück, ist weder theologisch herleitbar noch biblisch zu vertreten. Manche von uns fragen sich, ob sie in dieser Kirche noch am richtigen Platz sind.

Ich werde in diesem Brief nichts zu erklären versuchen, nichts beschönigen. Im Gegenteil scheint es mir an der Zeit zu sein - und immer mehr Menschen tun dies ja auch - offen und lautstark gegen diese Missstände zu protestieren. Viele Missbrauchsopfer tun dies inzwischen, zahlreiche Frauen engagieren sich in entsprechenden Gruppen, viele Pfarrer widersetzen sich den Vorgaben und halten Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare ab. Auch wir als kirchlicher Arbeitgeber wissen um unsere Verantwortung und werden weiterhin das gelingende Leben der Menschen im Blick haben, wenn wir Entscheidungen treffen.

Warum aber machen wir denn dann noch „katholische“ Schule? Was ist uns als Verantwortliche an diesen Schulen so wichtig, dass wir uns jeden Tag darum bemühen, diese Schulen besser zu machen. Warum vertrauen Sie als Eltern - trotz allem - Ihre Kinder an, und warum glauben wir daran, dass wir Euch als Schülerinnen und Schüler etwas Besonderes auf Euren Lebensweg mitgeben können, etwas, das es an anderen Lernorten so nicht gibt?

Das ist jetzt die richtige Stelle, um noch einmal auf das Pfingstfest einzugehen. Was passierte an diesem Tag nach den biblischen Erzählungen (Apg. 2, 1-13)?

- Menschen sprechen „eine Sprache“

- Menschen finden ihre „innere Stimme“

- Menschen fassen Mut trotz wirklich entmutigender Umstände

- Menschen kommen in einer „inklusiven Gemeinschaft“ zusammen

- Menschen werden aktiv und übernehmen Verantwortung.

 

All dies lässt sich aus den biblischen Texten herauslesen. In diesem Sinn „entsteht Kirche“ immer neu, immer anders, nie festschreibbar, ohne Definitionsmacht, wer in der Kirche steht und wer außerhalb, wer gesegnet werden darf und wer nicht.

 

Wenn wir als katholische Schulen davon sprechen, dass wir „Kirch-Orte“ sind, dann meinen wir genau das: dass Kirche am Ort Schule „entsteht“. Wir bringen die Kinder nicht zur Kirche und wir bringen auch die Kirche nicht zu den Kindern. Kirche entsteht dort, wo Schüler*innen zu ihrer eigenen Stimme finden; wo sie - von pädagogischen Mitarbeiter*innen, von Schulseelsorger*innen oder einfach auch von anderen Mitschüler*innen - ermutigt werden, gegen alle widrigen Umstände „anzuhoffen“; wo sie zu verantwortlichem Handeln aktiviert werden und wo sie die Stimme erheben gegen Unrecht und Kleinmut.

Der Komiker Hape Kerkeling bringt es in seinem sehr ernsthaften Buch über den Jakobsweg meines Erachtens auf den Punkt, wenn er dort wie folgt über Kirche nachdenkt:

„Während ich bei weit geöffnetem Fenster im Bett liege, frage ich mich, was Gott eigentlich für mich ist. Viele meiner Freunde haben sich schon lange von der Kirche abgewendet. Sie wirkt auf sie unglaubwürdig, veraltet, festgefahren, unbeweglich, und somit haben die meisten sich auch von Gott abgewendet. Für mich ist Gott so eine Art hervorragender Film wie ‹Ghandi›, mehrfach preisgekrönt und grossartig! Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Die Projektionsfläche für Gott. Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern. Man sitzt auf unbequemen, quietschenden Holzsitzen und es wurde nicht mal sauber gemacht. Da sitzt einer vor einem und nimmt einem die Sicht, hier und da wird gequatscht, und man bekommt ganze Handlungsstränge gar nicht mit.

Kein Vergnügen wahrscheinlich, sich einen Kassenknüller unter solchen Umständen ansehen zu müssen. Viele werden rausgehen und sagen: ‹Ein schlechter Film.› Wer aber genau hinsieht, erahnt, dass es sich um ein einzigartiges Meisterwerk handelt. Die Vorführung ist mies, doch ändert sie nichts an der Grösse des Films. Leinwand und Lautsprecher geben nur das wieder, wozu sie in der Lage sind. Das ist menschlich. Gott ist der Film und die Kirche ist das Kino, in dem der Film läuft. Ich hoffe, wir können uns den Film irgendwann in bester 3-D-und Stereo-Qualität unverfälscht und in voller Länge angucken. Und vielleicht spielen wir dann ja sogar mit!“

 

Wenn wir katholische Schule machen, dann geht es uns um den „großen Film“, den wir mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam betrachten wollen. Es geht um den Gott, der alle Menschen als seine Ebenbilder erschafft und ihnen somit eine göttliche Würde schenkt; es geht um den Gott, der Israel aus der Gefangenschaft befreit und damit die Freiheit als zentrales Merkmal des Menschseins betont; es geht um den Gott, der alle Tränen trocknet und uns die Hoffnung auf eine neue und veränderte Welt schenkt und als Aufgabe mitgibt.

 

In diesem Sinne, so finden wir, lohnt es sich, sich weiter als Pädagog*innen zu engagieren, damit Kinder und Jugendliche für ihr Leben Orientierung und Halt finden, damit sie nicht ohne die großen, sinnstiftenden und tröstenden Erzählungen der biblischen Geschichte in ihr Leben gehen müssen. In diesem Sinne hoffen wir, dass Sie als Eltern und Großeltern uns auch weiterhin Ihr Vertrauen schenken und dass wir gemeinsam Spuren und Wege suchen, damit das Leben Ihrer Kinder und Enkel gelingt.

Jetzt ist der Brief doch etwas länger geworden, als ich ihn geplant hatte. Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen einige unserer Anliegen und Positionen in diesen für die Kirche sehr stürmischen Zeiten verdeutlichen konnte, und freue mich auf weitere Gespräche und Diskussionen - beispielsweise im Gesamteltern- oder Gesamtschülerbeirat oder, wenn dies wieder möglich ist, gerne auch bei einem Vortrag bei Ihnen vor Ort.

Herzliche Grüße und ein spürbares Nachwehen des Pfingstgeistes wünscht Ihnen

Ihr Joachim Schmidt

 

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